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Selbstausbeutung in der Arbeitswelt

Interessierte Selbstgefährdung am Arbeitsplatz


Interessierte was??


Hallo Leute, ich komme heute mal mit einem etwas anderen Beitrag zum Thema Gesundheit


Schon mal was von Selbstausbeutung gehört?


Mit „interessierter Selbstgefährdung- Selbstausbeutung“ meinen wir ein Verhalten, bei dem man sich selbst dabei zusieht, wie das persönliche Arbeitshandeln die eigene Gesundheit gefährdet – aus einem Interesse am beruflichen Erfolg heraus (Peters 2011). Beispiele sind etwa: Präsentismus- also krank zur Arbeit kommen, auf Erholungspausen verzichten, am Wochenende oder im Urlaub arbeiten und erreichbar zu sein, länger als zehn Stunden am Tag arbeiten, in einem hohen Ausmaß unbezahlte Überstunden leisten. Solche Phänomene kamen auch in der Vergangenheit vor, beispielsweise aufgrund zu hoher Identifikation mit dem Unternehmen.

Die Ursachen für die gesundheitskritischen Verhaltensweisen sind jedoch zunehmend an anderen Stellen zu suchen: Mitarbeitende berichten, dass sie selbst dann, wenn sie ein solches Problem erkannt haben und darunter leiden, keinen Weg zur Veränderung finden. Angebote werden maximal zur Verhaltensprävention, etwa zum Zeit- und Stressmanagement angeboten, aber die wirklichen Probleme, die meist in der Organisation liegen, können nicht beseitigt werden (ASU, 2015)

Die Ursachen sind in der Dynamik zu finden, die durch neue, produktivitätssteigernde Managementkonzepte ausgelöst wird, wie sie zunehmend nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch in einigen Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Junghanns u. Morschhäuser 2013; Chevalier u. Kaluza, in Druck).


Die moderne Arbeitswelt mit ihren genialen Marketingsprüchen will uns in den letzten Jahren immer mehr weis machen, dass die Unternehmen nur FÜR die Menschen da sind, das man alles macht, damit die Mitarbeitenden glücklich sind, Unternehmen nur existieren, damit man Arbeitsplätze schafft.

Ihr wisst, dass das nur die Ausnahme ist. Ja, es gibt tolle Firmen. Meistens ist es jedoch so, dass die Firmen nur so tun mit Pseudomaßnahmen („unsere Tür ist immer offen“, „uns ist die Gesundheit der Menschen extrem wichtig“) oder der obligate Obstkorb und das nächste Stressseminar. Wenn es darauf ankommt, sind den meisten Unternehmen die Menschen völlig egal.


Nun kommt eine weitere Facette dazu: Man suggeriert uns, dass wir Flexibler sein sollen, wir bekommen mehr Autonomie, wir rudern alle gemeinsam und gleich, um gemeinsam das Überleben des Betriebes sicher zu stellen. Das wird nur gemacht, damit die Mitarbeitenden glücklicher sind, damit sie ihr Leben besser gestalten können. So selbstlos, der Betrieb. Leider heißt das übersetzt, das in Konsequenz wir unser Leben nach dem Arbeitsplatz richten sollen bzw. müssen.


„Wir sitzen alle im gleichen Boot – Unternehmer wie MitarbeiterIn“

Das stimmt übrigens nicht – Aber mit der Karotte, sich sein Privatleben besser einrichten zu können, wird mehr Flexibilität nicht nur geboten, sondern verlangt – es wird Homeoffice nicht nur angeboten, sondern dadurch auch die Erreichbarkeit implizit erweitert. Nur entscheidet dann oft nicht mehr der Mitarbeitende, sondern die Führungskraft oder der Chef, wann ich flexibel sein kann und wann erreichbar. Es ist ja wichtig, denn von jeder einzelnen Leistung hängt das Überleben des Unternehmens ab.


„Der Mitarbeiter als Mitunternehmer“

Das bedeutet, du sollst genau so viel arbeiten, als wäre es dein eigenes Unternehmen, bekommst aber nur soviel bezahlt wie im Kollektivvertrag (oder natürlich ein bisschen darüber) drinnen steht. Du bekommst die volle Verantwortung suggeriert, übernimmst sie auch noch und bekommst weder die nötigen Ressourcen noch die nötigen Informationen, noch die nötige Belohnung


Frage an euch: Wer von euch sitzt dann als „Mitunternehmer“ auch mit dem Unternehmer am gleichen Tisch, kann mit ihm Entscheidungen treffen und bekommt das gleiche Gehalt oder den gleichen Bonus ausbezahlt? Seid ihr jetzt bei mir, das hier etwas faul läuft.


Die Konsequenz ist, dass der Mensch im Laufe der zeit dazu neigt, sich selbst auszubeuten – und das auch noch FREIWILLIG! „Niemand verlangt von dir, dich selbst auszubeuten, du kannst die Ziele und Wege dahin ja völlig frei entscheiden,...“


Das große Kontra meines Beitrages ist jedoch – „Es gibt zuwenig Fachkräfte, Firmen müssen sich viel mehr für den MA ausdenken, damit es ihm gut geht“ – Ja, auch diese Seite gibt es. Nach wissenschaftlicher Analyse gibt es hierzu 4 Varianten:

1. In vielen Bereichen gibt es keinen Mangel an Fachkräften – es gibt einen Mangel an Bezahlung oder MENSCHENGERECHTEN Arbeitsbedingungen (Gastronomie, ...)

2. Es gibt einen Mitarbeitendenmangel und die Firmen kümmern sich wirklich gut um ihre Mitarbeitenden (ja diese werden mehr, aber noch viel zu wenig)

3. Es gibt einen Mangel und das Unternehmen stellt in echt oder pseudomäßig gute Arbeitsbedingungen zurecht – Wenn es aber dann benötigt würde, hat man nicht die Zeit, wird es nicht genehmigt, oder man pfeift drauf, denn der Auftrag steht im Vordergrund, und das leider dauernd...

4. Das Unternehmen stellt viele gute gesunde Maßnahmen zur Verfügung, ich echt oder pseudo, suggeriert dir, dass du von nun an dankbar sein sollst, und der die MitarbeiterIn beginnt sich selbst eher auszubeuten, denn das Unternehmen ist ja sooo gut zu dir. Dann beginnt der Teufelskreislauf so nach dem Motto „Es ist mir egal, ob du mich anlügst, Hauptsache du sagst mir was nettes“.


Ob du dann tatsächlich auf die Gesundheitsmaßnahmen zugreifen kannst, oder ob sie auch welche sind, die einen Nutzen bringen (was sie selten tun), weißt du erst, wenn der Hut schon brennt. Noch blöder ist: zuerst beutest du dich aus, bekommst echte Unterstützung vom Unternehmen und vor lauter Dankbarkeit kehrst du viel zu schnell wieder an den Arbeitsplatz zurück und beutest du dich wieder viel zu schnell aus.


Wenn ihr wissen wollt, ob ihr dazu neigt, euch selbst auszubeuten, dann prüft euch selbst anhand den untenstehenden 8 Facetten



Facetten der interessierten Selbstgefährdung

Um indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung in Unternehmen erkennen und verstehen zu können, bedarf es der offenen Kommunikation in geschützten Kommunikationsräumen. Ergänzend liegen inzwischen Instrumente vor, die in schriftliche Befragungen integriert werden können. Beispielsweise haben Krause et al. (in Druck) einen Fragebogen vorgelegt, um Selbstgefährdung messen zu können (Kurzversion von Baeriswyl et al. 2014). In Fallstudien wurden acht Facetten der Selbstgefährdung ermittelt, von denen sechs im Fragebogen erfasst werden:

  1. Ausdehnen der eigenen Arbeitszeit meint die zeitliche und örtliche Entgrenzung der Arbeit. Die private und familiäre Zeit sowie Erholung und Ausgleich werden zugunsten der Arbeitszeit reduziert. Die Erreichbarkeit in der Freizeit ist ebenfalls hier einzuordnen

  2. Intensivieren der Arbeitszeit beinhaltet eine Erhöhung der Intensität und Geschwindigkeit der eigenen Arbeit. So verzichten die arbeitenden Personen z. B. auf gegenseitige Unterstützung bzw. auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen oder ziehen sich im Arbeitsalltag zurück.

  3. Die Einnahme von Substanzen zum Er-holen beinhaltet Strategien, um sich nach einem anstrengenden Tag zu entspannen, um trotz Grübeln nach der Arbeit abzuschalten und um das Ein- und Durchschlafen zu erleichtern – und zwar auch mit Blick auf die Arbeitsanforderungen an dem Folgetag.

  4. Die Einnahme stimulierender Substanzen zum Erhalt und zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit wurde in den letz-ten Jahren unter Stichwörtern wie Neuro-enhancement und Gehirndoping behan-delt. Gemeint ist hier das Einnehmen von Aufputschmitteln und/oder Medikamen-ten.

  5. Präsentismus bezeichnet das Arbeiten trotz Krankheit bzw. der Verzicht auf Re-generation bei Krankheiten.

  6. Vortäuschen meint das bewusste Bereitstellen falscher Informationen sowie das Verschweigen und Zurückhalten von In-formationen, z. B. wird eine hohe eigene Leistungsfähigkeit suggeriert, indem – trotz bestehender Überlastung – zusätzliche Arbeitsaufgaben angenommen, ei-gene Schwächen und Ängste verschwiegen oder in Statistiken, Berichten und bei Treffen falsche Angaben zum Stand eines Projekts gemacht werden.

  7. Senken der Qualität meint ein Arbeitshandeln, bei dem die fachliche Qualität der eigenen Arbeit so stark reduziert oder auf das Erledigen wichtiger Sekundäraufgaben, die langfristig für eine qualita-tiv hochwertige Arbeit notwendig sind, ganz verzichtet wird (z. B. wird gegen Professionalitätsstandards verstoßen), so dass negative Konsequenzen für die eigene Person, für Personen im Arbeitsumfeld oder Kunden in Kauf genommen werden.

  8. Umgehen von Sicherheits- und Schutzstandards meint das fehlende Einhalten von formellen und informellen Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, obwohl der arbeitenden Person diese Regelungen oder Standards bekannt sind. Indem die Regelungen oder Standards von der arbeitenden Person aktiv unterlaufen werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Unfällen, Erkrankungen und Verschleiß.


Betriebliche Handlungs-möglichkeiten

Die neuen Managementkonzepte sind erfolgreich und produktivitätssteigernd – und sie haben ein grundsätzlich gesundheitsförderliches Potenzial. Es kann folglich nicht darum gehen, die Entwicklung zurückzu-schrauben. Vielmehr muss die Frage nach den unvermeidlichen Nebenwirkungen in den Blick genommen werden, die sich insbesondere in einer Zunahme psychischer Belastungen äußern kann. Dazu muss das neuartige Problem zunächst begriffen werden: Wer aus Angst vor Misserfolg oder in der Hoffnung auf Erfolg die Risiken für die eigene Gesundheit ignoriert, will sich dabei nicht stören lassen. Die Gefährdung der eigenen Gesundheit wird verheimlicht. Die psychischen Belastungen steigen und die Risiken nehmen zu – aber im Verborgenen. Das Problem wird erst offenkundig, wenn es zu spät ist.

Als Voraussetzung für erfolgreiche Prä-vention und Gesundheitsförderung ist abzuleiten, dass alle Beschäftigten die Wirkung neuer Steuerungsformen verstehen und angeleitet werden, die komplexe Wechselwirkung von Steuerung und eigenen Verhaltensweisen nachzuvollziehen. Durch das Fördern des eigenen Denkens über die Wir-kung neuer Steuerungsformen entsteht das Potenzial, Eigeninitiative zu entwickeln und die angesprochenen Nebenwirkungen durch eigenes Handeln zu durchkreuzen, sich also beispielsweise kritisch zu fragen, warum man am Wochenende oder länger als zehn Stunden arbeitet.

Bei Maßnahmenpaketen geht es somit nicht allein um eine Optimierung der indirekten Steuerung (z. B. durch Reduzieren von hinderlichen Verhaltensvorschriften), sondern immer auch um eine Förderung der eigenen Denkweisen, um die Auswirkungen der betrieblichen Veränderungen auf eigene Gefühle und Verhaltensweisen verstehen und erkennen zu können.


Wenn ihr Anregungen habt, eigene Erfahrungen teilen wollt, schreibt uns einfach, wir lernen gerne dazu.







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